Kondoa, zwischen Morogoro und Arusha gelegen, schien eine gute Idee für einen Zwischenstopp. In Morogoro hatte ich nach meiner Ankunft in Tansania Freunde getroffen, von Arusha aus wollte ich auf Safari gehen. Die Busfahrt von Morogoro nach Arusha würde vermutlich um die zehn Stunden dauern, weshalb ich sie nicht an einem Tag absolvieren wollte. Und ich hatte zwischendurch einige Termine für Video-Kurse bzw. -konferenzen, weshalb ich einen ruhigen Ort suchte, an dem ich außerhalb meiner Termine entspannt ein bisschen afrikanischen Alltag erleben könnte. Kondoa eben. So war zumindest der Plan.
Die Fahrt nach Kondoa dauert viel länger als ich dachte, weil ich zwischendurch mehrere Stunden auf einen Anschlussbus warten muss. Schließlich bekomme ich gegen 18 Uhr einen Platz im Sammelbus, der für 20 Personen ausgelegt ist, zwischenzeitlich aber mindestens 30 Menschen transportiert und in jedem Dorf hält, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen. Je länger die Fahrt dauert und je dunkler es draußen wird, desto häufiger sage ich mir in Gedanken Andreas Satz "Unterkunft gibt es immer" wie ein Mantra vor. Ich habe nicht damit gerechnet, erst so spät in Kondoa anzukommen und habe nichts reserviert.
In Kondoa lasse ich die Einheimischen zuerst aussteigen – ich habe es nicht eilig, denn ich überlege noch, wie ich an diesem Abend zu einem Bett kommen werde. Doch wie es in Tansania ist – mein Zögern wird bemerkt. Drei Fahrgäste bleiben mit mir im Bus und unterhalten sich – natürlich auf Suaheli – über die Mzungu (Weiße). Nur dieses eine Wort und die Blicke der Menschen machen mir klar, dass es wohl um mich geht. Indem jeder von ihnen ein wenig beisteuert, gelingt ihnen die Frage auf Englisch: Wo ich hinwolle.
"Ich suche ein Guesthouse."
Aussteigen, Nicken, Telefonieren, Warten. Die drei Fahrgäste, der Busfahrer sowie ein Motoradtaxifahrer (Bodaboda) positionieren sich um mich, eine der Frauen telefoniert und gibt anschließend dem Bodaboda-Fahrer Anweisung, mich in ein Guesthouse zu bringen. Das entnehme ich ihrem Tonfall und seinem Nicken. 2000 Schilling kostet die Übernachtung, sagt sie. Das wären etwa 80 Eurocent – was ich für unwahrscheinlich halte. Es stellt sich dann auch heraus, dass 20.000 gemeint sind. Das passiert in Tansania häufiger, dass es bei den Tausendern etwas durcheinander geht, ich werde mich im Laufe meiner Reise daran gewöhnen. Jedenfalls habe ich fünfzehn Minuten später ein Bett in einem Guesthouse, in dem allerdings auch niemand englisch spricht. Wie überhaupt in der Stadt so gut wie niemand, wie ich bald feststelle.
Als ich morgens entschlossen zum Rezeptionisten gehe, um nach Coffee zu fragen, schüttelt der den Kopf. Bloß gut, dass ich in Morogoro mit Gerhard eine Liste mit wichtigen Wörtern erstellt habe, die ich jetzt zur Hilfe nehmen kann. Kahawa. Der Rezeptionist strahlt, denn tatsächlich kann er mir Kaffee bringen. Ich habe also Hoffnung, dass Kommunikation möglich sein wird. Die Hoffnung ist nicht von langer Dauer. Ich muss mich vier Tage lang mit Händen und Füßen verständigen, und meine Möglichkeiten selbst für so einfache Dinge wie "Guten Tag" oder "Wie komme ich nach …" sind beschränkt. Gelernt habe ich inzwischen Jambo (Hallo), Mambo (wie geht's) und die Antwort darauf: Poa (gut). Aber für ein Gefühl echter Konversation reicht es nicht.
Abgesehen davon bin ich in diesen Tagen wohl die einzige Weiße in der Stadt und jeder meiner Schritte wird von johlenden Kindern und ihren Ausrufen Mzungu, Mzungu begleitet. Am Anfang macht das noch Spaß, nach drei Tagen strengt es mich nur noch an. Schließlich gebietet es die Höflichkeit, auf diese Rufe immer zu reagieren. Ein gedankenverlorener Spaziergang ist völlig ausgeschlossen. Ich bin heilfroh über meine Videokonferenzen, so kann ich wenigstens manchmal mit Menschen sprechen, die mich verstehen.
Am dritten Tag, dem einzigen, an dem keine Videokonferenz ansteht, will ich einen Ausflug nach Kolo unternehmen, Felsmalereien besichtigen. Dazu muss ich einen Bus nehmen, so viel weiß ich. Also gehe ich entschlossen zu dem Ort, an dem der Bus bei meiner Ankunft gehalten hat. Gehe in das Büro und frage nach: "Basi to Kolo?" Basi heißt Bus, auch das habe ich immerhin herausgefunden. Viele Wörter in Suaheli enden auf i, interessanterweise wird genau dieses i bei Germany oft weggelassen. Wenn ich auf die Frage nach meiner Herkunft Germany sage, nickt man und sagt bestätigend: German.
Doch der Angestellte im Büro schaut mich ratlos an, sagt etwas auf Suaheli, das ich nicht verstehe. Er geht mit mir nach draußen, um sich mit Kollegen zu beraten, die auch alle kein Englisch sprechen. Nach einer kurzen Diskussion, von der ich ausgeschlossen bin, fallen die Männer in ratloses Schweigen. Das ist der Moment, in dem ich an Maria Rubinstein denken muss. Jene Figur aus Daniel Kehlmanns "Ruhm", die durch eine Verkettung merkwürdiger Umstände irgendwo in Zentralasien "vergessen" wird und nie mehr von dort wegkommt. Einen Moment lang fürchte ich, ich werde für immer in Kondoa bleiben müssen, weil ich einfach niemanden finde, der mir den Weg von hier weg zeigen kann.
Was habe ich mir dabei gedacht, in dieses Land zu reisen, ohne wenigstens ein paar Grundlagen der Sprache zu können? Englisch, dachte ich, ist schließlich eine Weltsprache. Ganz offensichtlich gilt das nur für einen Teil der Welt. Gut, dass mir das einmal so eindrücklich vorgeführt wird.
Die Männer setzen mich schließlich auf ein Bodaboda und bedeuten mir, der Fahrer würde mich zum Bus bringen. Ihre noch immer ratlosen Minen zerstreuen meine Zweifel nicht, aber ich habe keine Wahl. Während der Fahrt spricht der Fahrer mit Kollegen auf anderen Motorrädern, um sich nach dem Weg zu erkundigen, nehme ich an. Doch als er anhält – wir sind noch nicht weit gekommen und nach Bus sieht es hier nicht aus – stellt sich heraus, dass ich falsch lag. Er bedeutet mir, ich solle umsteigen auf ein anderes Motorrad, denn Toshi, so stellt sich mir der zweite Fahrer vor, spricht englisch. Wahrscheinlich ist er der einzige Bodobodafahrer in ganz Kondoa, der englisch spricht. Er sagt, er lernt englisch, weil er damit vielleicht einen Job in Arusha finden kann. Er scheint ganz begeistert, dass er seine Fähigkeiten an mir ausprobieren kann. Und ich bin so glücklich, dass mich endlich jemand versteht, dass ich seine Telefonnummer einsammle, bevor wir uns verabschieden.
Als ich zwei Tage später aus Kondoa abreisen will, rufe ich ihn an und er bringt mich zum zweiten Mal sicher zum Bus. "Du bist mein Held", sage ich. Wenn ich wieder nach Kondoa komme, sagt er, solle ich ihn anrufen. Ich nicke, obwohl ich weiß, dass ich nicht wiederkomme. Um wiederzukommen, müsste ich wenigstens etwas Suaheli lernen, das wäre ich den Bewohnern von Kondoa schuldig. Ich fürchte nur, das wird in diesem Leben nichts mehr.
So wird mir Kondoa in Erinnerung bleiben als eine hübsche, sehr grüne kleine Stadt mit flachen Häusern, dazwischen kleinen Feldern und sympathischen Menschen, die viel gelächelt und mich als willkommene Fremde behandelt haben. Irgendwo in Afrika.