Kürzlich besuchte ich meinen deutschen Freund Torben in Tunis; in einem Teil Afrikas, in dem ich sonst selten unterwegs bin. Torben, der aus Gründen seinen echten Namen nicht genannt wissen möchte, lebt seit vier Jahren dort und bescherte mir – im Vergleich zu meinen sonstigen Afrikareisen – einen Luxusurlaub.
Er ist ein großartiger Gastgeber, kochte Bouillabaisse und andere leckere Gerichte, lotste mich zu den leckersten Eisdielen der Stadt und sorgte für Gin-Tonic, Rosé und immer genug Eiswürfel. Und dafür, dass ich via App, die er auf seinem Smartphone hat, jederzeit ein Taxi bekam, ohne langwierige Suche, ohne Preisdiskussion. Wenn ich an Dakar denke, wo jede Taxifahrt mit einer Verhandlung um den Preis beginnt, war das ein ganz besonderer Luxus. Einmal aber wollte ich mir beweisen, dass ich auch in Tunis allein Taxifahren kann – und prompt ging es schief.
Dabei schien es wirklich ganz einfach: Ich hatte mittags im L'Astragal gespeist, einem vornehmen, aus der Zeit gefallenen Restaurant, das irgendwann eine eigene Kurzgeschichte bekommen wird, und wollte anschließend zu Torben ins Büro. Das Taxi ließ ich mir vom Guardien des l'Astragal rufen und erklärte dem Taxifahrer, dass ich zur Clinique Pasteur wollte, denn dort in der Nähe liegt Torbens Büro. Dann lehnte ich mich zurück, im Nachgenuss des vorzüglichen Mittagessens in charmantem Ambiente. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass der Guardien und der Taxifahrer noch eine ganze Weile miteinander sprachen, bevor es losging, aber da sie arabisch sprachen, verstand ich nur, dass der Taxifahrer offenbar nach dem Weg fragte. Da ich das kenne – auch in Dakar fragen die Taxifahrer häufig Passanten nach dem Weg – machte ich mir wenig Gedanken.
Wie weit weg ich mit meinen Gedanken war, lässt sich daran erkennen, dass ich bei den italienischsprachigen Gesprächsangeboten des Taxifahrers nur dachte: italienischer Flüchtling halt. Als ich Torben später davon berichtete, kommentierte er entgeistert: „Es gibt in Tunis keine italienischen Flüchtlinge.“ Wenn ich nachgedacht hätte, wäre mir das auch eingefallen. Ich dachte aber nicht nach, sah aus dem Fenster und reagierte halbherzig auf die weiteren Kommunikationsversuche des Fahrers, dem ich gesteckt hatte, dass ich Deutsche sei und kein Italienisch spräche. Er brabbelte etwas, das ich erst später als: „Ich liebe dich“ identifizierte, nämlich als er das in einem italienischen Satz wiederholte: „Ti amo.“
Das hört sich merkwürdiger an als es war; es war keine Anmache, oder eine verdammt ungeschickte. Ich hatte eher den Eindruck, er wollte vor mir damit protzen, wie weltmännisch er diesen einen Satz in verschiedenen Sprachen beherrschte. Als Reaktion beschränkte ich mich darauf, ihm erneut zu erklären, dass ich zur Clinique Pasteur wolle. Woraufhin er wieder anhielt, um Passanten am Straßenrand nach dem Weg zu fragen. Noch amüsiert schrieb ich Torben eine Nachricht, dass ich im Taxi säße, es aber trotzdem noch eine Weile dauern könne, weil der Taxifahrer sich durchfragen müsse. Torbens Antwort kam schnell: Dann betrügt er dich, die Clinique kennt hier wirklich jeder.
Ich hatte keine Gelegenheit, meinen wachsenden Unmut kundzutun, denn jetzt stieg einer der Passanten ohne Erklärung zu uns ins Taxi und ich war so überrascht, dass mir mein Protest im Halse steckenblieb. Die Männer wandten sich mit einer knappen Geste an mich, die bedeuteten konnte, dass jetzt alles klar sei und vertieften sich in ein Gespräch auf Arabisch. Nachfragen meinerseits blieben unbeachtet und jetzt fand ich das alles doch etwas schräg: den italienischen Flüchtling, den zugestiegenen Passanten, die Nicht-Beachtung. Und: Wo waren wir überhaupt? Wo fuhren die Männer mit mir hin? Hatte ihre Geste wirklich gemeint, es ginge jetzt zur Clinique Pasteur oder hatten sie andere Pläne? Ist das so, wenn man entführt wird? Dass man es zuerst gar nicht merkt? Dass alles harmlos wirkt, wie eine zufällige Aneinanderreihung merkwürdiger Umstände, aber wenn einem die Summe der Merkwürdigkeiten klar wird, ist es zu spät? Mir fiel auch noch ein, dass Torben mir erzählt hatte, dass es in Tunesien verboten ist, dass sich ein Mann und eine Frau in einem Auto zusammen befinden, wenn sie nicht verheiratet sind. Das gilt nicht unbedingt für Ausländer und nicht, wenn der Mann Taxifahrer ist, aber die jetzige Konstellation konnte unangenehm werden.
Es war ein guter Zeitpunkt, Torben anzurufen, der geistesgegenwärtig genug war, mich aufzufordern, sofort auszusteigen. Das sei alles viel zu schräg, als dass es harmlos sein konnte. „Du steigst sofort aus.“
„Arretez“, gab ich die Aufforderung an den Taxifahrer weiter. Der winkte ab und machte eine beschwichtigende Geste, die bedeuten konnte, wir seien gleich da. Torben wiederholte seine Aufforderung und also ich auch meine. „Arretez!“
Und dann hielt das Taxi. Einfach so. Der Fahrer ließ mich aussteigen und fragte nicht einmal nach Geld für die Fahrt bis hierher. Als seien die beiden Männer jetzt froh, ihr Gespräch ohne Störung fortsetzen zu können.
„Bin draußen“, sagte ich zu Torben, der jetzt zugab, am ganzen Körper zu zittern, weil er die Angst gehabt hatte, die ich nicht zugelassen hatte. „Schick‘ mir deinen Standort, ich bestelle dir ein Taxi.“
Vorsichtshalber schickte er mir den Screenshot der Bestellung: Dieser Fahrer mit diesem Auto kommt dich abholen. Das tat er auch. Zwanzig Minuten später saß ich in Torbens Büro. Er hatte schon angefangen, seine Notfallkontakte herauszusuchen. Gemeinsam versuchten wir, Erklärungen für die mit Abstand seltsamste Taxifahrt meines Lebens zu finden. Es gelang uns nicht, ein Unbehagen blieb: Es hätte auch ganz anders ausgehen können.
P.S. Mein sonstiger Tunis-Aufenthalt wird von dem Foto dieses Beitrags gut zusammengefasst.