Andere Länder

Bahnstation-in-Tansania
von Dorrit Bartel 20. April 2023
Zugfahren in Tansania
Strasse in Kondoa
von Dorrit Bartel 10. März 2023
Kondoa, zwischen Morogoro und Arusha gelegen, schien eine gute Idee für einen Zwischenstopp. In Morogoro hatte ich nach meiner Ankunft in Tansania Freunde getroffen, von Arusha aus wollte ich auf Safari gehen. Die Busfahrt von Morogoro nach Arusha würde vermutlich um die zehn Stunden dauern, weshalb ich sie nicht an einem Tag absolvieren wollte. Und ich hatte zwischendurch einige Termine für Video-Kurse bzw. -konferenzen, weshalb ich einen ruhigen Ort suchte, an dem ich außerhalb meiner Termine entspannt ein bisschen afrikanischen Alltag erleben könnte. Kondoa eben. So war zumindest der Plan. Die Fahrt nach Kondoa dauert viel länger als ich dachte, weil ich zwischendurch mehrere Stunden auf einen Anschlussbus warten muss. Schließlich bekomme ich gegen 18 Uhr einen Platz im Sammelbus, der für 20 Personen ausgelegt ist, zwischenzeitlich aber mindestens 30 Menschen transportiert und in jedem Dorf hält, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen. Je länger die Fahrt dauert und je dunkler es draußen wird, desto häufiger sage ich mir in Gedanken Andreas Satz "Unterkunft gibt es immer" wie ein Mantra vor. Ich habe nicht damit gerechnet, erst so spät in Kondoa anzukommen und habe nichts reserviert. In Kondoa lasse ich die Einheimischen zuerst aussteigen – ich habe es nicht eilig, denn ich überlege noch, wie ich an diesem Abend zu einem Bett kommen werde. Doch wie es in Tansania ist – mein Zögern wird bemerkt. Drei Fahrgäste bleiben mit mir im Bus und unterhalten sich – natürlich auf Suaheli – über die Mzungu (Weiße). Nur dieses eine Wort und die Blicke der Menschen machen mir klar, dass es wohl um mich geht. Indem jeder von ihnen ein wenig beisteuert, gelingt ihnen die Frage auf Englisch: Wo ich hinwolle. "Ich suche ein Guesthouse." Aussteigen, Nicken, Telefonieren, Warten. Die drei Fahrgäste, der Busfahrer sowie ein Motoradtaxifahrer (Bodaboda) positionieren sich um mich, eine der Frauen telefoniert und gibt anschließend dem Bodaboda-Fahrer Anweisung, mich in ein Guesthouse zu bringen. Das entnehme ich ihrem Tonfall und seinem Nicken. 2000 Schilling kostet die Übernachtung, sagt sie. Das wären etwa 80 Eurocent – was ich für unwahrscheinlich halte. Es stellt sich dann auch heraus, dass 20.000 gemeint sind. Das passiert in Tansania häufiger, dass es bei den Tausendern etwas durcheinander geht, ich werde mich im Laufe meiner Reise daran gewöhnen. Jedenfalls habe ich fünfzehn Minuten später ein Bett in einem Guesthouse, in dem allerdings auch niemand englisch spricht. Wie überhaupt in der Stadt so gut wie niemand, wie ich bald feststelle. Als ich morgens entschlossen zum Rezeptionisten gehe, um nach Coffee zu fragen, schüttelt der den Kopf. Bloß gut, dass ich in Morogoro mit Gerhard eine Liste mit wichtigen Wörtern erstellt habe, die ich jetzt zur Hilfe nehmen kann. Kahawa . Der Rezeptionist strahlt, denn tatsächlich kann er mir Kaffee bringen. Ich habe also Hoffnung, dass Kommunikation möglich sein wird. Die Hoffnung ist nicht von langer Dauer. Ich muss mich vier Tage lang mit Händen und Füßen verständigen, und meine Möglichkeiten selbst für so einfache Dinge wie "Guten Tag" oder "Wie komme ich nach …" sind beschränkt. Gelernt habe ich inzwischen Jambo (Hallo), Mambo (wie geht's) und die Antwort darauf: Poa (gut). Aber für ein Gefühl echter Konversation reicht es nicht. Abgesehen davon bin ich in diesen Tagen wohl die einzige Weiße in der Stadt und jeder meiner Schritte wird von johlenden Kindern und ihren Ausrufen Mzungu, Mzungu begleitet. Am Anfang macht das noch Spaß, nach drei Tagen strengt es mich nur noch an. Schließlich gebietet es die Höflichkeit, auf diese Rufe immer zu reagieren. Ein gedankenverlorener Spaziergang ist völlig ausgeschlossen. Ich bin heilfroh über meine Videokonferenzen, so kann ich wenigstens manchmal mit Menschen sprechen, die mich verstehen. Am dritten Tag, dem einzigen, an dem keine Videokonferenz ansteht, will ich einen Ausflug nach Kolo unternehmen, Felsmalereien besichtigen. Dazu muss ich einen Bus nehmen, so viel weiß ich. Also gehe ich entschlossen zu dem Ort, an dem der Bus bei meiner Ankunft gehalten hat. Gehe in das Büro und frage nach: "Basi to Kolo?" Basi heißt Bus, auch das habe ich immerhin herausgefunden. Viele Wörter in Suaheli enden auf i, interessanterweise wird genau dieses i bei Germany oft weggelassen. Wenn ich auf die Frage nach meiner Herkunft Germany sage, nickt man und sagt bestätigend: German. Doch der Angestellte im Büro schaut mich ratlos an, sagt etwas auf Suaheli, das ich nicht verstehe. Er geht mit mir nach draußen, um sich mit Kollegen zu beraten, die auch alle kein Englisch sprechen. Nach einer kurzen Diskussion, von der ich ausgeschlossen bin, fallen die Männer in ratloses Schweigen. Das ist der Moment, in dem ich an Maria Rubinstein denken muss. Jene Figur aus Daniel Kehlmanns "Ruhm", die durch eine Verkettung merkwürdiger Umstände irgendwo in Zentralasien "vergessen" wird und nie mehr von dort wegkommt. Einen Moment lang fürchte ich, ich werde für immer in Kondoa bleiben müssen, weil ich einfach niemanden finde, der mir den Weg von hier weg zeigen kann. Was habe ich mir dabei gedacht, in dieses Land zu reisen, ohne wenigstens ein paar Grundlagen der Sprache zu können? Englisch, dachte ich, ist schließlich eine Weltsprache. Ganz offensichtlich gilt das nur für einen Teil der Welt. Gut, dass mir das einmal so eindrücklich vorgeführt wird. Die Männer setzen mich schließlich auf ein Bodaboda und bedeuten mir, der Fahrer würde mich zum Bus bringen. Ihre noch immer ratlosen Minen zerstreuen meine Zweifel nicht, aber ich habe keine Wahl. Während der Fahrt spricht der Fahrer mit Kollegen auf anderen Motorrädern, um sich nach dem Weg zu erkundigen, nehme ich an. Doch als er anhält – wir sind noch nicht weit gekommen und nach Bus sieht es hier nicht aus – stellt sich heraus, dass ich falsch lag. Er bedeutet mir, ich solle umsteigen auf ein anderes Motorrad, denn Toshi, so stellt sich mir der zweite Fahrer vor, spricht englisch. Wahrscheinlich ist er der einzige Bodobodafahrer in ganz Kondoa, der englisch spricht. Er sagt, er lernt englisch, weil er damit vielleicht einen Job in Arusha finden kann. Er scheint ganz begeistert, dass er seine Fähigkeiten an mir ausprobieren kann. Und ich bin so glücklich, dass mich endlich jemand versteht, dass ich seine Telefonnummer einsammle, bevor wir uns verabschieden. Als ich zwei Tage später aus Kondoa abreisen will, rufe ich ihn an und er bringt mich zum zweiten Mal sicher zum Bus. "Du bist mein Held", sage ich. Wenn ich wieder nach Kondoa komme, sagt er, solle ich ihn anrufen. Ich nicke, obwohl ich weiß, dass ich nicht wiederkomme. Um wiederzukommen, müsste ich wenigstens etwas Suaheli lernen, das wäre ich den Bewohnern von Kondoa schuldig. Ich fürchte nur, das wird in diesem Leben nichts mehr. So wird mir Kondoa in Erinnerung bleiben als eine hübsche, sehr grüne kleine Stadt mit flachen Häusern, dazwischen kleinen Feldern und sympathischen Menschen, die viel gelächelt und mich als willkommene Fremde behandelt haben. Irgendwo in Afrika.
Gruenes-Tal-in-Tansania
von Dorrit Bartel 22. Februar 2023
Der Rucksack bleibt in Istanbul "Last call for passengers to Dar es Salaam", feuert mich die Lautsprecherstimme an, während ich durch den Istanbuler Flughafen sprinte und tatsächlich erfolgreich bin – als eine der letzten steige ich ins halbleere Flugzeug. Durch die Wetterbedingungen sind viele Zubringerflüge verspätet und offensichtlich haben nicht alle Passagiere einen Sprint hingelegt wie ich. Als ich auf das verschneite Flugfeld schaue, wird mir klar, dass mein Rucksack wohl nicht in der Maschine sein wird. Morgens gegen halb fünf ist es Gewissheit, mein Rucksack ist nicht in Tansania angekommen. Vor dem Lost-and-Found-Schalter stehen mindestens fünfzig herrenlose Gepäckstücke. Wird mein Rucksack dort womöglich auch bald stehen, verloren und vergessen? Mit meinen Kleidern und dem Adapter für die hiesigen Steckdosen, mit meinem Badeanzug und meiner Zahnbürste? Einen Moment lang stelle ich mir vor, dass ich all das nicht wiedersehen werde – dann konzentriere ich mich auf die Anweisungen der Angestellten und gebe die Auskünfte, die sie braucht. Überrascht registriere ich, dass mein Kopf für Rucksack nur das französische sac à dos ausspuckt. Ich war vorher knapp zwei Monate im Senegal und werde wohl noch eine Weile brauchen, ehe ich den Sprachumstieg geschafft habe. Die Angestellte ist sehr geduldig mit mir. Wir hoffen beide, dass mein Rucksack – endlich fällt mir auch backpack ein – am nächsten Tag zur selben Zeit eintrifft, man wird es mir dann nachschicken. Allerdings braucht sie eine tansanische Telefonnummer von mir, um mich zu informieren. Ich habe noch keine Telefonnummer, ich habe noch nicht einmal ein Visum. Irgendwie klären wir, wann ich wo anrufen und meine Telefonnummer durchgeben kann und ich bin vorsichtig optimistisch. Draußen schüttet es wie aus Eimern, immerhin bei etwa 25 Grad, irgendwie gefällt es mir sogar, dass ich jetzt keinen großen Rucksack durch den Regen tragen muss. Nachdem ich allerdings nach drei Minuten Fußweg völlig durchnässt bin, beschließe ich, nicht den Bus zu suchen, sondern ein Taxi zum Busbahnhof zu nehmen, von wo aus die Überlandbusse abfahren. Auch nach Morogoro. Dort warten nämlich Andrea und Gerhard auf mich, Kölner Freunde, die vor zwei Tagen in Tansania angekommen sind und den Westen erkunden wollen, während mein Ziel der Norden ist: Die Serengeti und der Kilimandjaro. Aber einen Tag werden wir zusammen in Morogoro verbringen, mal wieder zusammen ein Bier in Afrika trinken, wie wir es vor einigen Jahren schon einmal in Addis Abeba getan haben. Auch damals trennten sich unsere Wege nach einem Tag. Es tut gut, in einem mir völlig fremden Land irgendwo erwartet zu werden. Während der Busfahrt macht sich die Nacht im Flugzeug bemerkbar – immer wieder schlafe ich ein, habe auch genug Zeit dafür, denn für die 200 Kilometer von Dar es Salam nach Morogoro braucht der Bus fast vier Stunden. Inzwischen hat der Regen nachgelassen und ich kann besser erkennen, was er in diesem Land bewirkt: Die Landschaft ist grün, überall blühen Pflanzen und auch die Baobabs tragen Blätter. Ich bin im Februar sonst oft im Senegal – dort ist jetzt Trockenzeit und die Baobabs sind kahl. Hier erkenne ich sie zunächst gar nicht, weil durch ihr Blätterkleid die typischen, wurzelförmigen Äste nicht zu erkennen sind. Wiedersehen mit Freunden Im Guesthouse in Morogoro muss ich zunächst auf Andrea und Gerhard warten und nutze die Zeit für ein kurzes Gespräch mit einem anderen Gast, der mir auch gleich das Kennwort für seinen Hotspot gibt, weil es hier kein W-Lan gibt. Ein freundlicher Empfang, das wird auch so bleiben, als ich einen kurzen Spaziergang unternehme, werde ich ständig mit Jambo (Hallo) oder Karibu (Willkommen) begrüßt. Es gibt im Guesthouse ein Handtuch, Seife und eine (kalte) Dusche. Eine kleine Reisezahnbürste habe ich dabei – in weiser Voraussicht ins Handgepäck gesteckt. Nach der Dusche muss ich allerdings wieder in die Jeans steigen, die ich in Berlin angezogen hatte, um bei null Grad zum Flughafen zu fahren und das T-Shirt anziehen, in dem ich insgesamt fast zehn Stunden im Flugzeug und vier Stunden im Bus gesessen habe. Jetzt aber – die Sonne scheint und es sind sicher 28 Grad – bin ich in der Jeans etwas overdressed. Als meine Freunde ankommen und wir glücklich unsere Anreisegeschichten ausgetauscht haben, leiht Andrea mir einen Kamm und einen Rock. So bin ich wenigstens die Jeans los. Ich kaufe ein Kleid, das ich allerdings noch kürzen lassen muss, aber wenigstens werde ich am nächsten Tag etwas Leichteres anzuziehen haben. Und dann helfen sie mir bei der Suche nach einem Vodafon-Shop. Gemeinsam suchen wir die für mich passende SIM-Karte aus (ich brauche ein großes Datenpaket, denn ich muss ja auch arbeiten in meinen Wochen hier). Ich bin froh, dass sie das alles gestern schon für sich getan haben, so geht es jedenfalls schneller, als wenn ich mich allein auf die Suche machen müsste. Schließlich bekomme ich von ihnen einen Crashkurs zu allen Dingen, die ich hier wissen muss: Essen und Bett gibt es hier fast überall, das Busnetz ist sehr gut ausgebaut und die Menschen sind unglaublich hilfsbereit. Außerdem gibt es einen Crashkurs In Kisuaheli, das Gerhard ein wenig spricht. Denn so viel habe ich inzwischen verstanden: Mit Englisch werde ich in kleinen Städten nicht weit kommen. Ich mache mir eine lange Liste mit den wichtigen Wörtern: Wasser, Bier, Kaffee, groß, klein, warm, kalt usw. Und endlich auch Antworten auf das mir hier immer wieder zugerufene Karibu und Jambo , auf das mir mehrfach ein Ca va rausrutscht. Wenn mir rechtzeitig einfällt, dass das hier völlig unangebracht ist, bleibt mir bislang nur ein schiefes Lächeln. Vor allem nehmen wir uns die auf Kisuaheli verfasste Speisekarte in dem Restaurant vor, in dem wir essen, damit ich zwischen Rind, Huhn, Ziege oder Fisch wählen kann. Und zwischen gebrühtem oder gekochtem Reis, Maisbrei oder Chipsi (Pommes). Gemüse gibt es immer dazu: ein grünes, spinatartiges (ich finde, es ähnelt mehr Grünkohl als Spinat, aber es schmeckt jedenfalls) und gekochte Bohnen. Im Übrigen isst man hier mit der rechten Hand. "Wir kriegen aber meist einen Löffel dazu", sagt Andrea. Und dann stoßen wir endlich mit einem Kilimandjaro an – die Biersorten heißen hier nämlich so: Kilimanjaro, Serengeti, Safari … Wiedersehen mit meinem Rucksack Am nächsten Morgen um halb sieben kommt der Anruf: Mein Rucksack ist jetzt in Dar es Salaam und soll zwischen 16 und 17 Uhr mit einem Bus in Morogoro ankommen. Ich kann ihn im Büro der Busgesellschaft abholen. Andrea und Gerhard unternehmen einen längeren Ausflug – was ich wegen des Wartens auf meinen Rucksack nicht in Erwägung ziehe. Außerdem steckt mir der Flug noch im Körper und ich fühle mich noch zu erschöpft, um vier Stunden Bus zu fahren. Stattdessen entscheide ich mich für eine kleine Wanderung in die Uluguru Berge, die sich südlich von Morogoro erheben. Von oben aus bieten sich mir wunderbare Ausblicke in die grünen Täler. Manchmal begegne ich Menschen, die mich auch hier stets freundlich mit Karibu begrüßen. Das ist mein erster Eindruck von Tansania: Sehr herzliche Menschen, denen daran gelegen ist, dass Gäste ihres Landes sich willkommen fühlen. Am Nachmittag, kurz vor 17 Uhr gehe ich an die Straßenecke, wenige Schritte vom Guesthouse entfernt und zeige den Motorradtaxifahrern die Nachricht mit dem Namen der Busgesellschaft, damit mich einer von ihnen dorthin fährt. Optimistisch bitte ich ihn, vor dem Büro zu warten, ich muss ja nur meinen Rucksack nehmen, dann kann ich gleich wieder mit ihm zurückfahren. Aber natürlich ist der Rucksack noch nicht da. Also beschließe ich, in der Stadt zu bleiben und in einem nahegelegenen Café auf den Anruf des Angestellten der Busgesellschaft zu warten. Ich lasse das afrikanische Treiben an mir vorüberziehen, trinke einen Avocadosaft und dann noch einen zweiten, der erwartete Anruf kommt nicht. Geht mein Rucksack so kurz vor dem Ziel doch noch verloren? Ich habe ja inzwischen gelernt, dass in Afrika vieles viel besser organisiert ist als ich oft glaube, aber ein leichter Zweifel bleibt. Gegen 18:30 schaue ich noch einmal bei der Busgesellschaft vorbei, doch der Angestellte schüttelt den Kopf. Etwas irritiert, weil ich ihm nicht vertraue. "Ich rufe dich an." Als ich eine Viertelstunde später im Guesthouse ankomme, kommt der Anruf und ich gehe – jetzt in der Dunkelheit – wieder zu den Motorradtaxis. Einer der Männer schaut mir entgegen und fragt gleich: "Abood bus?" Meine Schritte sind hier also gut beobachtet worden – was ich aber als eher freundliche Geste, denn bedrohliche Überwachung empfinde. Natürlich, wir sind hier so was wie eine Attraktion – drei Mzungu (Weiße), die mehrere Tage in der Stadt bleiben. Morogoro liegt einfach nicht direkt an den von westlichen Touristen frequentierten Strecken. Und endlich habe ich ihn, meinen sac à dos , pardon, backpack . Ich entschuldige mich für meine Ungeduld bei dem Angestellten, der lächelnd fragt, ob ich nun erleichtert sei. "Ja", sage ich, "alle meine Kleider. Meine Zahnbürste. Und mein Deo." Wir lachen beide, als ich den Empfang quittiere. Abschied von Freunden Nachdem ich meine Wiedervereinigung mit all meinen Sachen ausgiebig genossen habe, unter anderem damit, dass ich die Nacht in meinem Schlafshirt verbracht habe, heißt es Abschied nehmen. Andrea und Gerhard machen sich auf ihren Weg in Richtung Südwesten. Zusammen trinken wir in einem Restaurant noch einen von diesen exotischen Säften – diesmal Mango – dann trennen sich unsere Wege. Ich schaue ihnen nach auf ihrem Weg, bevor ich zurück ins Guesthouse gehe, wo ich ein paar liegengebliebene E-Mails abarbeite. Jetzt bin ich ganz allein irgendwo mitten in Afrika. Und einen Moment lang fühle ich mich schrecklich einsam und habe einen Anfall von: Was mache ich hier eigentlich? In diesen Momenten helfen zwei Dinge: Auf die Wetterkarte von Berlin zu schauen, das noch immer im Februargrau liegt und auf die Straße zu gehen. Auf Jambo mit Jambo zu antworten, auf Karibu mit Assante (danke). Mir ein Essen zu bestellen und stolz darauf zu sein, dass ich den Fisch mit der rechten Hand esse. Einen Löffel bekomme ich nicht und auf der mit Gerhard erstellten Wörterliste steht das Wort nicht. Gut gesättigt und froh über meine ersten kleinen Schritte allein in einem fremden Land denke ich daran, wie ich mich von Andrea und Gerhard vor fünf Jahren in Addis Abeba verabschiedete. Damals flog ich drei Wochen später zurück nach Deutschland und hatte einen Romanstoff im Gepäck, der mich drei Jahre beschäftigte. Ich bin gespannt, was ich diesmal mit nach Hause bringen werde.
Dorrit Bartel im Sonnenuntergang am Meer
von Dorrit Bartel 10. September 2022
Kürzlich besuchte ich meinen deutschen Freund Torben in Tunis; in einem Teil Afrikas, in dem ich sonst selten unterwegs bin. Torben, der aus Gründen seinen echten Namen nicht genannt wissen möchte, lebt seit vier Jahren dort und bescherte mir – im Vergleich zu meinen sonstigen Afrikareisen – einen Luxusurlaub. Er ist ein großartiger Gastgeber, kochte Bouillabaisse und andere leckere Gerichte, lotste mich zu den leckersten Eisdielen der Stadt und sorgte für Gin-Tonic, Rosé und immer genug Eiswürfel. Und dafür, dass ich via App, die er auf seinem Smartphone hat, jederzeit ein Taxi bekam, ohne langwierige Suche, ohne Preisdiskussion. Wenn ich an Dakar denke, wo jede Taxifahrt mit einer Verhandlung um den Preis beginnt, war das ein ganz besonderer Luxus. Einmal aber wollte ich mir beweisen, dass ich auch in Tunis allein Taxifahren kann – und prompt ging es schief. Dabei schien es wirklich ganz einfach: Ich hatte mittags im L'Astragal gespeist, einem vornehmen, aus der Zeit gefallenen Restaurant, das irgendwann eine eigene Kurzgeschichte bekommen wird, und wollte anschließend zu Torben ins Büro. Das Taxi ließ ich mir vom Guardien des l'Astragal rufen und erklärte dem Taxifahrer, dass ich zur Clinique Pasteur wollte, denn dort in der Nähe liegt Torbens Büro. Dann lehnte ich mich zurück, im Nachgenuss des vorzüglichen Mittagessens in charmantem Ambiente. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass der Guardien und der Taxifahrer noch eine ganze Weile miteinander sprachen, bevor es losging, aber da sie arabisch sprachen, verstand ich nur, dass der Taxifahrer offenbar nach dem Weg fragte. Da ich das kenne – auch in Dakar fragen die Taxifahrer häufig Passanten nach dem Weg – machte ich mir wenig Gedanken. Wie weit weg ich mit meinen Gedanken war, lässt sich daran erkennen, dass ich bei den italienischsprachigen Gesprächsangeboten des Taxifahrers nur dachte: italienischer Flüchtling halt. Als ich Torben später davon berichtete, kommentierte er entgeistert: „Es gibt in Tunis keine italienischen Flüchtlinge.“ Wenn ich nachgedacht hätte, wäre mir das auch eingefallen. Ich dachte aber nicht nach, sah aus dem Fenster und reagierte halbherzig auf die weiteren Kommunikationsversuche des Fahrers, dem ich gesteckt hatte, dass ich Deutsche sei und kein Italienisch spräche. Er brabbelte etwas, das ich erst später als: „Ich liebe dich“ identifizierte, nämlich als er das in einem italienischen Satz wiederholte: „Ti amo.“ Das hört sich merkwürdiger an als es war; es war keine Anmache, oder eine verdammt ungeschickte. Ich hatte eher den Eindruck, er wollte vor mir damit protzen, wie weltmännisch er diesen einen Satz in verschiedenen Sprachen beherrschte. Als Reaktion beschränkte ich mich darauf, ihm erneut zu erklären, dass ich zur Clinique Pasteur wolle. Woraufhin er wieder anhielt, um Passanten am Straßenrand nach dem Weg zu fragen. Noch amüsiert schrieb ich Torben eine Nachricht, dass ich im Taxi säße, es aber trotzdem noch eine Weile dauern könne, weil der Taxifahrer sich durchfragen müsse. Torbens Antwort kam schnell: Dann betrügt er dich, die Clinique kennt hier wirklich jeder. Ich hatte keine Gelegenheit, meinen wachsenden Unmut kundzutun, denn jetzt stieg einer der Passanten ohne Erklärung zu uns ins Taxi und ich war so überrascht, dass mir mein Protest im Halse steckenblieb. Die Männer wandten sich mit einer knappen Geste an mich, die bedeuteten konnte, dass jetzt alles klar sei und vertieften sich in ein Gespräch auf Arabisch. Nachfragen meinerseits blieben unbeachtet und jetzt fand ich das alles doch etwas schräg: den italienischen Flüchtling, den zugestiegenen Passanten, die Nicht-Beachtung. Und: Wo waren wir überhaupt? Wo fuhren die Männer mit mir hin? Hatte ihre Geste wirklich gemeint, es ginge jetzt zur Clinique Pasteur oder hatten sie andere Pläne? Ist das so, wenn man entführt wird? Dass man es zuerst gar nicht merkt? Dass alles harmlos wirkt, wie eine zufällige Aneinanderreihung merkwürdiger Umstände, aber wenn einem die Summe der Merkwürdigkeiten klar wird, ist es zu spät? Mir fiel auch noch ein, dass Torben mir erzählt hatte, dass es in Tunesien verboten ist, dass sich ein Mann und eine Frau in einem Auto zusammen befinden, wenn sie nicht verheiratet sind. Das gilt nicht unbedingt für Ausländer und nicht, wenn der Mann Taxifahrer ist, aber die jetzige Konstellation konnte unangenehm werden. Es war ein guter Zeitpunkt, Torben anzurufen, der geistesgegenwärtig genug war, mich aufzufordern, sofort auszusteigen. Das sei alles viel zu schräg, als dass es harmlos sein konnte. „Du steigst sofort aus.“ „Arretez“, gab ich die Aufforderung an den Taxifahrer weiter. Der winkte ab und machte eine beschwichtigende Geste, die bedeuten konnte, wir seien gleich da. Torben wiederholte seine Aufforderung und also ich auch meine. „Arretez!“ Und dann hielt das Taxi. Einfach so. Der Fahrer ließ mich aussteigen und fragte nicht einmal nach Geld für die Fahrt bis hierher. Als seien die beiden Männer jetzt froh, ihr Gespräch ohne Störung fortsetzen zu können. „Bin draußen“, sagte ich zu Torben, der jetzt zugab, am ganzen Körper zu zittern, weil er die Angst gehabt hatte, die ich nicht zugelassen hatte. „Schick‘ mir deinen Standort, ich bestelle dir ein Taxi.“ Vorsichtshalber schickte er mir den Screenshot der Bestellung: Dieser Fahrer mit diesem Auto kommt dich abholen. Das tat er auch. Zwanzig Minuten später saß ich in Torbens Büro. Er hatte schon angefangen, seine Notfallkontakte herauszusuchen. Gemeinsam versuchten wir, Erklärungen für die mit Abstand seltsamste Taxifahrt meines Lebens zu finden. Es gelang uns nicht, ein Unbehagen blieb: Es hätte auch ganz anders ausgehen können. P.S. Mein sonstiger Tunis-Aufenthalt wird von dem Foto dieses Beitrags gut zusammengefasst.
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